Die wirtschaftliche Entwicklung
Die günstige Lage Landsbergs an der Kreuzung zweier Handelsstraßen förderte die wirtschaftliche Entwicklung. Die Stadt besaß schon im 14. Jahrhundert das Stapelrecht und war berechtigt, Wasser- und Deichzoll zu erheben.
Die Gründung der später bedeutenden Industriebetriebe lässt sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts fixieren: 1830 hat Carl Ludwig Jaehne am Ende des Fischerdorfes Kietz mit dem Bau einer Fabrik für landwirtschaftliche Maschinen begonnen. 1830 begann mit der Heirat des Kupferschmiedes Carl Friedrich Stoeckert die Geschichte der Firma C. F. Stoeckert & Comp.Von einer Klempnerei entwickelte sie sich über ein kleines Hammerwerk, eine Kesselschmiede, Eisengießerei mit Modelltischlerei, zu einer bedeutenden Maschinenfabrik. 1842 begründete Johann Gottlieb Hermann Paucksch eine eigene Maschinenbauanstalt, deren Erzeugnisse er solide, preiswürdig und pünktlich zu liefern versprach. 1851 machte sich der Sattlermeister August Koberstein selbständig — aus seinem Betrieb erwuchs die bedeutende Sattlerwarenfabrik Otto Koberstein. 1857 wurden die Dampfziegelwerke Otto Fischer gegründet. 1864 erlaubte sich J. Lewinson die „ergebene Anzeige“ der Eröffnung eines Möbellagers, aus dem sich die Möbelfabrik Lewinson & Söhne entwickelte. 1868 machte Gustav Schröder „den Herren Guts-, Gruben- und Fabrikbesitzern“ die „ergebene Anzeige“ von der Eröffnung seiner Drahtseilfabrik. 1872 trat Max Bahr in das väterliche Tuchgeschäft ein, aus dem er sich 1879 zurückzog, weil er eine kleine Juteweberei gegründet hatte. 1873 fasste der Seilermeister Wilhelm Golze den Entschluss, sich selbständig zu machen und wurde damit Vorläufer der Firma Ogos, Otto Golze & Söhne, Hameln. 1877 eröffnete Carl Bergemann in der Richtstraße eine Schlosserwerkstatt, die die Keimzelle der Fa. Carl Bergemann wurde, einer Fabrik zur Fertigung von Maschinen und Werkzeugen zur Holzbearbeitung. Zur gleichen Zeit konnte die Brauerei Louis Kohlstock schon auf eine 150jährige Tradition zurückblicken. Damit sind nicht alle Betriebe genannt; aber schon aus dieser Aufzählung lässt sich entnehmen, wie industrielle Aktivität sich entfaltete. Der Schwerpunkt lag in der Metallverarbeitung und im Maschinenbau.
Die Kinderarbeit war weit verbreitet. 1869 erschien im Neumärkschen Wochenblatt die folgende Bekanntmachung: „Die bisherigen Beschränkungen in der Beschäftigung jugendlicher, das ist, noch nicht 16 Jahre alter Arbeiter in Fabriken, sind aufrechterhalten worden. Insbesondere dürfen Kinder unter 12 Jahren in Fabriken zu regelmäßiger Beschäftigung gar nicht und über 12-14 Jahre nur dann angenommen werden, wenn sie täglich mindestens dreistündigen Schulunterricht erhalten. Ihre Beschäftigung darf 6 Stunden täglich nicht übersteigen. Junge Leute von 14-16 Jahre dürfen in Fabriken nicht über 10 Stunden täglich beschäftigt werden. Landsberg a. W., den 6. October 1869. Die Polizei-Verwaltung.“
Bald nach Ausbruch des 1. Weltkrieges hatte die Industrie unter steigendem Mangel an Rohstoffen zu leiden. Betriebseinschränkungen und Arbeiterentlassungen waren die Folge. Die Arbeitszeit musste verkürzt werden, von 56 1/2 auf 48 Stunden (Jutefabrik). In der Folgezeit vermehrten vor allem Kohlenmangel und Transportschwierigkeiten die Betriebsstockungen. Besonders die großen Betriebe müssten sich auf die Anfertigung von Kriegsbedarf umstellen. Die Maschinenfabriken waren mit Heeresaufträgen beschäftigt. Die Paucksch'sche Fabrik hatte eine Granatendreherei eingerichtet. Die Vereinigten Modellfabriken stellten ebenfalls Granaten her. Ebenso waren die Sägewerke und der Holzhandel gut beschäftigt. Vielfach hatten sie für die Heeresverwaltung Flugzeugteile herzustellen. Dagegen führten in den Ziegeleien Arbeitsmangel und Kohlennot während des Krieges zur fast völligen Stilllegung der Betriebe.
Das Kriegsende brachte zunächst keine Besserung. Allen Schwierigkeiten zum Trotz brachten die Jahre 1923—27 dann ein Ansteigen der Konjunktur. Demgegenüber berichtet der Magistratsbericht von 1928 wieder von Stagnation. „Im Jahre 1928 verfügte die Industrie der Stadt über ausreichende Aufträge. Nennenswerte Betriebsstörungen kamen nirgends vor. Trotz alledem machte sich auch in der Landsberger Industrie eine langsame rückläufige Konjunktur bemerkbar. Die Ursache dafür ist vor allem in der Notlage der Landwirtschaft zu erblicken, die einen stärkeren Inlandsabsatz vieler Industrieerzeugnisse hinderte.“
Demgegenüber hatte die Netzfabrik wieder Exportaufträge. Es wird berichtet, dass, wie vor dem Kriege, der größere Teil der Erzeugnisse ins Ausland ging. Wenn der Absatz dort durch die starke Konkurrenz deutscher und ausländischer Fabriken auch wenig gewinnbringend war, so dienten die Aufträge doch dazu, gleichmäßige Beschäftigung und bessere Ausnutzung der vorhandenen Anlagen herbeizuführen.
Die insgesamt ruhige, aber nicht schlechte Arbeitslage wurde auch für Landsberg durch die Weltwirtschaftskrise beendet. So waren auch durch die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, unter denen im Kreis Landsberg wie überall die abhängigen Arbeitnehmer besonders zu leiden hatten, die Ohren geöffnet für die Versprechungen der Nationalsozialisten. Die wirtschaftlichen Probleme besiegten den klaren Verstand.
Schon der 1. Mai 1933 wurde zu einer Demonstration der neuen Macht umfunktioniert. Im Landsberger Generalanzeiger vom 24. 4. 33 stehen ausführliche Hinweise, genaue Anordnungen zur Durchführung des Festumzuges.
Am 2.5.1933 erschien auch folgender Verlautbarung: „Heute Vormittag begann die Gleichschaltungsaktion gegen die freien Gewerkschaften. Die Übernahme der Freien Gewerkschaften geht in der Form vor sich, dass den Arbeitern und Angestellten das Gefühl gegeben wird, dass diese Aktion sich nicht gegen sie, sondern gegen ein überaltertes und mit dem Interesse der deutschen Nation nicht übereinstimmendes System richtet.
Für die Mehrheit der Landsberger und der Bewohner des Kreises sah die neue Regierung positiv aus. Die Arbeitslosigkeit ging schnell zurück, die großen Betriebe erhielten bedeutende Aufträge. Nicht immer und sofort erkennbar handelte es sich um Rüstungs- bzw. rüstungswichtige Aufträge. Die Landsberger Firmen hatten ihr Hauptabsatzgebiet jetzt im Inland, der Export ging fast auf Null zurück. Im Land aber blieben die Firmen konkurrenzfähig, zum Teil deshalb, weil die Löhne in den östlichen Gebieten Deutschlands etwas unter dem Niveau der industriellen Ballungsräume lagen. Dies wiederum bewirkte eine Abwanderung leistungsfähiger Arbeitskräfte in die Großstädte und westdeutsche Industriegebiete.
Um dem entgegen zu wirken kam eine bedeutende Firma mit einem großen Ableger nach Landsberg: Die IG Farben AG. Das Werk war ursprünglich als reine Photofabrik geplant. Die Produktion der „Agfa“ in Leverkusen für Photopapiere und in Wolfen, Kreis Bitterfeld, für Filme reichte nicht mehr aus. Landsberg/Warthe war von der Leitung der IG ursprünglich nicht als Standort gewählt worden, musste jedoch auf Wunsch der staatlichen „Reichsstelle Chemie“ akzeptiert werden. Die Bauarbeiten wurden Ende des Jahres 1938 in Angriff genommen.
Geplant war die Herstellung von Amateur- und technischem Film (für Röntgen und Reproduktion) sowie von Photopapier aller Art, insbesondere auch von dem neuentwickelten farbigen Papier. Durch den Ausbruch des 2. Weltkrieges musste das Programm jedoch völlig geändert werden. Statt der Filme wurden Folien für Elektroisolation und sonstige technische Zwecke hergestellt. Mit dieser Fabrikation wurde 1941 begonnen. Das Photopapier musste aus dem Programm gestrichen werden. Stattdessen kam später die Herstellung von Perlonseide hinzu; das Verfahren war in einem gleichfalls zur IG gehörenden Werk in Berlin entwickelt worden. Es war dies die erste in Deutschland hergestellte vollsynthetische Faser. Sie wurde insbesondere zu Fallschirmen verarbeitet.
Als in der Nacht zum 30. Januar 1945 die Reste der deutschen Wehrmacht, von Osten kommend, durch die Friedeberger Chaussee zurückfluteten, wurden im Kesselhaus die Feuer gelöscht. Das war das Ende des IG-Werkes Landsberg/Warthe.
Die Errichtung des IG-Farben-Werkes in Landsberg war das bedeutendste industrielle Ereignis während der Zeit des Nationalsozialismus. Die anderen Industriebetriebe erlebten das gleiche Schicksal wie das IG-Werk. Die zwangsweise Umstellung auf Kriegsproduktion brachte zunächst eine Scheinblüte. Schnell traten aber, wie schon im Ersten Weltkrieg, Rohstoff- und Energiemangel ein. So haben beispielsweise die Jutefabrik und die Netzfabrik wieder Papier zu Bindfaden verarbeitet, die Kabelfabrik hat anstelle von Hanf eine Kunstfaser als Seele der Drahtseile verwendet
Vielleicht sollte noch erwähnt werden, dass spätestens bei Kriegsbeginn alle Firmeninhaber gezwungen wurden, der NSDAP beizutreten. Zumindest ihre leitenden Angestellten mussten es ersatzweise tun. Andernfalls wäre das Werk nicht mehr mit Rohstoffen beliefert oder enteignet worden. Alle Firmen haben bis zum 29. Januar 1945 gearbeitet, am 30. Januar schlossen zum Teil über 100jährige Firmen. Nur wenigen Inhabern oder Erben gelang es, im Westen eine gleiche Position neu aufzubauen.
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