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1933 - 1936

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Landsberg 1933/1936

Im Herbst 1933 hielt Dr. Werner Vorträge vor den Anwärtern auf die NS-Stadtrandsiedlung, die an der Brahtzallee errichtet wurde. Die Allee wurde von den Landsbergern Streichholzallee genannt, weil die Silhouette der dort am Stadtrand etwas erhöht angepflanzten dünnen Straßenbäume von der Stadt aus gegen den Horizont den Eindruck von Streichhölzern erweckte. Am 11. 11. 33 fand dort der erste Spatenstich statt. Es wurden sehr bescheidene Siedlungshäuschen, deren Baukosten wenig über 3 000 RM betrugen. Am 12. 11. 33 war Reichstags-, Wahl“; es war nur die nationalsozialistische Liste aufgestellt. Gleichzeitig fand eine Volksabstimmung statt über die Billigung der bisherigen Hitler-Politik. In die vorangehende Propaganda mussten sich auch die Behörden einschalten: „Rundschreiben 11/279 vom 28. 10. 1933. Betr. Reichstagswahl und Volksabstimmung. Es ist selbstverständlich, dass am 12. November alle Beamten, Arbeiter und Angestellten mit ihren Angehörigen zur Wahl gehen. <

DienstzimmerOB
Dienstzimmer um 1920
Die Stadtverwaltung ist ein Teil des Staatsganzen. Der Gedanke, dass ein Staatsdiener der Wahl durch Nichtbeteiligung gleichgültig gegenüberstünde, ist untragbar und scheidet aus. Die Abstimmung ist geheim. Die Geheimhaltung ist gewährleistet. Jeder Beamte, Angestellte und Arbeiter hat sich aber bei der Abstimmung vor Augen zu halten, dass für einen deutschen Mann Augenblicksstimmung, Verärgerung, kleinliche Vergeltungsabsicht usw. nicht in Frage kommen. Es geht um das Wohl unseres Vaterlandes, dessen Bestand im Innern gesichert ist, dass aber der Welt endlich zeigen muss, dass das Volk geschlossen hinter dem Führer steht. Wir halten unserm Führer die Treue! Gerloff, Oberbürgermeister.“ Das Gehalt des Verfassers betrug zu Beginn noch nicht einmal 200 RM netto monatlich; er verdiente also als verheirateter, vollbeschäftigter Akademiker zunächst weniger als früher, allerdings nur vorübergehend, als Student mit meinenNebenbeschäftigungen erhalten hatte. Aber es kletterte allmählich, so dass er ab April 1934 — im Angestelltenverhältnis — dieselben Bezüge hatte wie ein beamteter Magistratsrat oder Regierungsrat in der 1. Besoldungsstufe. Aber auch das war freilich nach den Gehaltskürzungen der Brüningschen Notverordnungen nicht viel. Oberbürgermeister Otto Gerloff war nicht nur ein sehr erfahrener Kommunalpolitiker, sondern auch ein ungemein kluger, anständiger weiser Mensch. Und Dr. Wegener hatte das große Glück gehabt, dass er wechselnd im Laufe der fünf Jahre seiner Landsberger Tätigkeit die meisten kommunalen Aufgabengebiete kennengelernt habe. Im Anfang waren es die Stadtrandsiedlung, die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und die Arbeiten des halbmilitärisch organisierten freiwilligen Arbeitsdienstes: Aufforstung in der Stadt und in Altensorge und Melioration im Dorfe Bürgerbruch. Dazu kamen bald Hauszinssteuerhypotheken, Grundstücksamt, Patronatssachen (Kirchenrecht), Versicherungsamt, Einzelaufgaben von Rechtsstreitigkeiten u. a. Im April 1934 erhielt Dr. Wegener den Auftrag, eine Denkschrift auszuarbeiten über die Notwendigkeit eines Umschlaghafens für Landsberg.
Rathaus alt
Sparkasse - heute Rathaus
Viele erhofften sich von einem solchen Hafen einen gewaltigen wirtschaftlichen Aufschwung. Nach meinen Untersuchungen war aber nur eine Verbesserung der Bollwerksanlagen am südlichen Wartheufer notwendig, die 1935 auch mit Kosten von rund 110 000 RM begann. Natürlich war auch Oberbürgermeister Gerloff nach der Machtübernahme Hitlers 1933 der Nazipartei beigetreten. Bei offiziellen Gelegenheiten zeigte er sich in einer braunen Amtsleiteruniform - ohne ein Amt inne zu haben. Viele wussten, wie kritisch er dem neuen Regime und besonders den „Alten Kämpfern“ der Bewegung gegenüberstand. Besondere Schwierigkeiten erwuchsen Gerloff daraus, dass sein Vertreter, der Bürgermeister Paul Klemm, gleichzeitig Kreisleiter der NSDAP war. Da ähnliche Misshelligkeiten an vielen Orten entstanden waren, verfügte der „Stellvertreter des Führers“ schließlich am 19. 2. 37, dass die Personalunion zwischen den Ämtern der Kreisleiter und den staatlichen oder kommunalen Ämtern zu lösen sei, worauf Klemm auf den Kreisleiterposten verzichtete und (pensionsberechtigter!) Bürgermeister blieb. Von den „Alten Kämpfern“ wurde gesagt, dass sie entweder dumm seien oder unwissend (wie viele Jugendliche) oder böse (wie Goebbels). Natürlich gab es auch Nazis, die weder dumm noch unwissend noch böse waren, aber dann waren es meist keine Alten Kämpfer. Unangenehme Erscheinungen gab’s aber auch in Landsberg. Der Übelste war der SA-Standartenführer Arndt. Auf seine Veranlassung war der frühere Leiter des städtischen Fürsorgeheims (= Armenhauses) namens Kohlmetz im Frühjahr 1933 so geprügelt worden, dass er einige Tage später starb. Kohlmetzens Nachfolger als Fürsorgeheimverwalter wurde ein Schwerkriegsbeschädigter, ein Alter Kämpfer der NSDAP mit dem Ehrenzeichen. Er wurde am 4. 10. 34 fristlos wegen vieler Verfehlungen entlassen. Ähnliche Verfehlungen hatte man dem totgeprügelten Kohlmetz vorgeworfen. Am 29. 10. 34 wurde der unbesoldete Stadtrat Sieling, der zur alten Garde gehörte und das Ehrenzeichen der NSDAP trug, von seinem Amte als Leiter der NS-Volkswohlfahrt entbunden. Er hatte für sich und seine Frau monatlich 240 RM aus den Mitteln der NSV anweisen lassen, zusätzlich zu seinen etwa 500 RM Postbeamtengehalt und 30 RM Stadtratsentschädigung. Sein Stadtratsamt verlor er daraufhin auch. Übrigens gleichzeitig ein Beweis dafür, dass eine saubere Verwaltung sich auch Alter Kämpfer entledigen konnte, wenn ihnen Verfehlungen nachzuweisen waren. Gerloff hatte also mit alten Parteigenossen nicht viel im Sinn. Als nun Anfang 1934 Stadtrat Volprecht, der das Stadtkämmereramt verwaltete, sich um eine höher besoldete Stellung in Erfurt bewarb, da dachte Gerloff an mich als Nachfolger. Der Regierungspräsident in Frankfurt (Oder) teilte am 31. 1. 34 mit: „Für den Fall, dass die Kämmererstelle frei werden sollte, hat mir der Herr Oberbürgermeister in Landsberg berichtet, dass er Dr. Wegener zum Kämmerer der Stadt Landsberg in Vorschlag bringen würde. Ich werde daher Ihr Gesuch an den Herrn Minister des Innern weiterleiten, wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind.“ Das zog sich freilich noch lange hin. In Urlaubsfällen vertrat Dr. Wegener Volprecht mit vollem Unterzeichnungsrecht.
Stadthaus
Stadthaus - erbaut 1924
Am 13. 4. 35 ging Stadtrat Volprecht endgültig nach Erfurt, und Dr. Wegener übernahm nunmehr seine Vertretung in der Finanzverwaltung, im Haushalts- und Kassenwesen, übte also praktisch die Aufgaben eines Kämmerers aus. Dr. Wegener entdeckte die Freude am mitgestaltenden Wirken, in einem sozialen Gebilde wie dem Haushalt der Stadt Landsberg Bedarf und Deckung in Einklang zu bringen und zu halten. Es kam darauf an, die tausendfältigen als Bedarf angemeldeten Ausgabenwünsche auf ihre vernunftmäßige Dringlichkeit zu prüfen und dabei stets in die Runde zu denken. Dem Wohle der Stadt frommte es nicht, stur immer Nein zu sagen und in Fiskalismus zu sündigen, noch weniger freilich, im Gefälligkeitsdenken immer Ja zu sagen, so dass nachher auch für dringenden unvorhergesehenen Bedarf keine Mittel mehr vorhanden waren. Arbeitsmäßig war Dr. Wegener sehr belastet, zumal er auch die Unterrichtsstunden, die Volprecht bisher an der Gemeindebeamtenschule gab, größtenteils zu übernehmen hatte. Andererseits erhöhten sich seine Nebeneinnahmen bis zu 80 RM monatlich. Ende Juli ließ er sich bei Bahr & Clemens einen Cut (away) für 150 RM machen, also einen schwarzen, einreihigen Rock, dessen lange Schöße nach hinten zurückgingen; dazu schwarzgrau gestreifte Hosen. Gerloff hatte zur Anschaffung geraten, weil das neben einer braunen Parteiuniform damals der offizielle Anzug eines Beamten war, wenn einmal den Ober amtlich zu einer frühen Tageszeit im Smoking zu vertreten war, der doch erst ab 4 Uhr nachmittags erlaubt war. Die intensive Aufrüstung wurde zunächst heimlich betrieben, denn der Versailler Vertrag von 1919 hatte die Reichswehr ja auf 100 000 Mann begrenzt. Überall begannen umfangreiche Kasernenbauten, auch in Landsberg auf dem Lugeberg. Zugunsten der Aufrüstung wurden die Einfuhren für viele Zwecke durch scharfe Devisenbestimmungen fast gedrosselt und die Herstellung inländischer Rohstoffe mit allen erdenklichen Mitteln gefördert. Alles Sportliche und Militärische lag uns nicht. Trotzdem mussten wir ja aber mit der Möglichkeit einer Einziehung und bei der intensiven Aufrüstung auch leider mit Krieg rechnen, mit einem Krieg, für den jede Notwendigkeit oder innere Rechtfertigung fehlte. Um die Wahrscheinlichkeit eines sinnlosen „Heldentodes“ so gering wie möglich zu machen, meldete Dr. Wegener sich am 12. 6. 35 freiwillig zur Nachrichtentruppe, die vergleichsweise am sichersten erschien. Die militärärztliche Untersuchung erklärte ihn für „tauglich II“. Vom 7. bis 9. 9. 35 hatten wir Einquartierung. Beinahe drei Bataillone aus Crossen, Frankfurt und Küstrin - im Manöver unterwegs - waren in Landsberg. Wir hatten einen 23jährigen Infanteristen aus Elbingerode im Harz. Er rauchte 25 Zigaretten bei uns, trank zwei Liter Bier, diverse Gläser Britzer Rotwein und eine Menge Korn. Auch zu essen bekam er natürlich gut und viel. Im Übrigen war er nett und erzählte fast pausenlos. Am 21. 9. 35 rückte ein Infanterie-Bataillon, von Neuruppin herkommend, als Garnison in Landsberg ein, nicht nur offiziell mit Flaggenschmuck, sondern auch von der Bevölkerung herzlich begrüßt, war doch Landsberg seit dem Anfang des 18. Jahrhunderts mit Ausnahme der Nachkriegsjahre immer Garnisonstadt gewesen. Zu den Rednern gehörten neben dem Oberbürgermeister, dem Regierungspräsidenten aus Frankfurt (Oder), dem Kreisleiter und dem Kommandeur Oberst v. Hase auch der Kommandierende General v. Witzleben. Auf dem Lugeberg, unmittelbar dem bebauten Ortskern benachbart, war die neue Kaserne errichtet. Am 26. 10. 35 rückte Dr. Wegener zu seiner eigenen ersten Acht-Wochen-Übung ein. Er kam zur Nachrichtenabteilung III in Frankfurt an der Oder. Und im Herbst 36 begannen die ersten Luftschutz-Verdunkelungsübungen in Landsberg, aber noch waren die Schatten der Kriegsgefahr zu verschwommen. Am 31. 12. 36 erschien ein - natürlich nicht honorierter - Aufsatz von Dr. Wegener im Landsberger Generalanzeiger unter dem Titel „Landsberg im Jahreslauf“: „Das scheidende Jahr 1936 war für die Stadt Landsberg reich an Ereignissen, die eine kräftige, glückliche Aufwärtsentwicklung der Stadt bedeuten. Die allgemeine Wirtschaftsbelebung, die die nationalsozialistische Staatsführung erreicht hat, hat auf fast allen Gebieten die günstigsten Rückwirkungen ausgelöst. — Das schönste Beispiel bietet ein Vergleich zwischen der Arbeitslosigkeit in unserer Stadt zur Zeit der Machtübernahme und heute. Betrug damals die Zahl der unterstützten Erwerbslosen fast 4 000, so ist sie bis 1. Dezember 1936 gesunken auf 801. Die Zahl der Wohlfahrtserwerbslosen ist im gleichen Zeitraum gefallen von über 2 000 auf 371. Selbstverständlich ist diese Entwicklung keine stetige, da die Wintermonate, in denen in den Außenberufen wenig gearbeitet werden kann, ein regelmäßiges Anziehen der Erwerbslosenzahl mit sich bringen, ohne dass uns dies zu beängstigen braucht. Auch die Entwicklung der städtischen Finanzen war recht günstig. Die Gesamtfehlbeträge nach den Ist-Abschlüssen betrugen zum Ende des Rechnungsjahres 1932 523 000 RM, 1933 487 000 RM, 1934 441 000 RM. Am Ende des Jahres 1935, also zum 31. März 36, war nicht nur kein Fehlbetrag mehr vorhanden, sondern es hatte sich ein Überschuss von 508 000 RM ergeben, der nach den geltenden Vorschriften an die Ausgleichsrücklage, die Betriebsmittelrücklage und die Rücklage zur außerordentlichen Schuldentilgung aufgeteilt worden ist. Der Haushaltsplan für 1936 wurde zum ersten Mal seit dem Jahre 1930 ausgeglichen aufgestellt.
Dr. Fritz Wegener
„Wissenschaftlicher Hilfsarbeiter“ der verschiedensten Dezernate der Stadtverwaltung in den 1930er Jahren
In: Landsberg an der Warthe Band I 1976
(Redaktionell überarbeitet)